FSP263 Sich neu erfinden in der Krise - Interview mit Oliver Gorus

Worum geht es?

In der Episode geht es um sich unternehmerisch neu erfinden, aber was wirklich interessant ist, spannend diese Reise sein kann.

Ich bin im Gespräch mit Oliver Gorus. Er hat mehrere kleine feine Unternehmen im Buchmarkt aufgebaut. War auch schon in in Episode 130 "Fünf Unternehmen und kein klassischer Chef?" hier und hat uns berichtet. Jetzt ist er wieder da und berichtet und aus Unternehmersicht, wie er und seine Unternehmen sich in der Corona-Krise neu erfunden haben.

Mehr über Oliver findest du unter https://gorus.de/

Zu Gast

Oliver Gorus

Raus aus dem goldenen Zeit-gegen-Geld Hamsterrad

„Die freiberufliche Boutique“ ist ein kuratierter Newsletter für freiberufliche Unternehmer und Independent Professionals. Mit handverlesenen Buchtipps, inspirierenden Beispielen, hilfreichen Strategien und interessanten Events.

Aus der Praxis, für die Praxis!

Was ist bei euch in den letzten drei Jahren passiert und wie hat sich die Welt verändert?

Es ist unglaublich, wie schnell die Zeit vergeht. In den letzten Jahren ist sehr viel passiert, nicht nur für uns, sondern auch für deine Hörer und wahrscheinlich auch für dich. Die Corona-Maßnahmen haben eine schwierige Zeit für uns bedeutet, da unsere Kunden Umsatzeinbrüche verzeichneten, was sich auch auf uns auswirkte. Außerdem kam es aufgrund der Wirtschaftssanktionen im Zuge des Ukraine-Konflikts zu einer Energiekrise mit zu hohen Energiepreisen, die ebenfalls Auswirkungen hatten und die Stimmung der Menschen beeinflussten.

In den drei Jahren haben wir viele Ups and Downs erlebt, die sich sehr stark abwechselten. Zum Beispiel hatten wir ganz am Anfang der Lockdowns eine Phase, an die wir uns schmerzlich erinnern. Im Frühjahr 2020 hat uns der Umsatz stark beeinträchtigt, weil unsere Kunden ihre Vorhaben gestoppt und abgesagt hatten. Dies führte zu Verunsicherung und erheblichen Umsatzeinbußen für unsere Kunden, von denen einige von Veranstaltungen lebten, die aufgrund der Pandemie komplett abgesagt wurden.

Das hat auch Auswirkungen auf uns gehabt, da diese Kunden ihre Marketingaktivitäten mit uns nicht mehr weitermachen konnten. Wir mussten schnell reagieren, um die Arbeitsplätze unserer Mitarbeiter zu sichern. Niemand wusste, was kommen würde und es war schwierig zu planen. Die Zeitpräferenz ist mittlerweile sehr hoch, sodass die Menschen nur noch von jetzt bis zur nächsten Woche oder zum nächsten Monat denken und nicht weiter. Das führt dazu, dass Investitionen leiden. Das war die Situation für uns.

Ihr habt neue Dienstleistungen entwickelt. Wie seid ihr dabei vorgegangen?

Es sind mehrere Dienstleistungen entstanden, aber die, die bei uns aufgrund des äußeren Drucks entstanden ist, kam durch eine von innen kommende Innovationskraft oder einen Innovationswunsch. Dieser Wunsch kam wirklich von den Mitarbeitern, nicht nur von mir. Ich habe nicht plötzlich alleine angefangen, etwas zu entwerfen, sondern das kam von allen Mitarbeitern. Wir haben uns oft zusammengesetzt, auch abends auf ein Bier und haben überlegt. Wir haben dann mit der Zeit bemerkt, dass wir immer irgendwie auf die gleiche Weise vorgegangen sind, obwohl wir mehrere Sachen angestoßen haben, von denen nicht alle überlebt haben. Ein paar haben jedoch sehr gut funktioniert. Es war also ein bisschen Trial-and-Error-Verfahren.

Ein Beispiel: Wir haben unser Know-how rund um die Entstehung von Büchern, Manuskripten, Buchkonzepten und Buchvermarktung genommen, das wir über Jahrzehnte angesammelt haben. Die Idee war, eine bestimmte eingeschränkte Buchform zu standardisieren. Wir haben uns für relativ begrenzte Bücher entschieden, die auch nicht eine unendliche Vielfalt an Covergestaltung und Layout haben, sondern nach einem stark strukturierten Prozess inhaltlich entwickelt werden. Es ging darum, ein vermarktungsfähiges Produkt zu schaffen. Wir haben einen kompakten, schnellen Prozess entwickelt, bei dem wir unser Know-how einbringen und der Autor mitwirken muss.

Wir haben sehr stark optimiert, um keine unnötigen Schleifen zu drehen. Wenn der Kunde mitzieht, kann man innerhalb von wenigen Wochen zu einem Festpreis ein eigenes Buch entwickeln, das der Autor selbst verlegt. Das Rundumpaket, einschließlich der Produktion, kostet etwa 20.000 Euro. Der Autor muss nur noch den Drucker bezahlen, aber auch das organisieren wir dann für ihn. Im Vergleich zu Ghostwritings ist das ein fast schon unanständig niedriger Preis für ein hochqualitatives Buch. Wir haben das System kontinuierlich optimiert und es ist zu einem richtigen Renner geworden. Dies ist einer der Services, die sich total durchgesetzt haben.

Und dann passierte etwas Interessantes: Im Anschluss wurde es notwendig, dass wir selbst verlegenden Autoren auch beim Versand helfen. Wir unterstützen sie dabei mit Lagerhaltung, Logistik und Abrechnung mit dem Buchhandel. Wir haben bemerkt, dass es hier weiße Flecken auf der Landkarte gibt und dass viele Autoren in diesem Bereich große Fehler machen.

Das Ganze eignet sich perfekt für einen Productized Service. Momentan nennen wir ihn Buchhandelsservice und haben noch keine Website dafür, aber bereits über 50 Autoren haben ihre Bücher über diesen Service veröffentlicht.

Wir haben extra ein Lager mit Temperaturkontrolle gemietet, damit die Bücher nicht schlecht werden. Zudem haben wir Mitarbeiter, die den Versand übernehmen. Alles läuft total professionell und schnell ab. Wenn eine Bestellung reinkommt, geht sie am selben Tag noch raus. Wir beliefern den Buchhandel und das ist echt kompliziert. Hier muss man Insider sein, was für selbstverlegende Autoren schwierig zu durchblicken ist. Durch die größere Anzahl an Autoren und Büchern können wir überall gelistet werden. Somit ist das selbstverlegte Buch im kompletten Buchhandel verfügbar, was für einen Autor alleine schwierig zu bewerkstelligen wäre.

Auch die komplizierte Abrechnung ist bei uns gekapselt. Wir kriegen einmal im Monat Abrechnungen, wo wir sehen können, wie viele Exemplare versendet worden sind. Das Geld vom Buchhandel kommt bei uns rein und wird entsprechend an die Autoren verteilt. Dadurch herrscht totale Transparenz. Der Autor kann sich voll auf die Vermarktung seines Buches konzentrieren und hat mit dem Rest nichts zu tun.

Wir haben diesen Service in den letzten drei Jahren entwickelt, optimiert und total durchstrukturiert. Jetzt ist er gut aufgestellt und wir können ihn skalieren. Wir werden demnächst eine Website machen und das Kind wird einen Namen bekommen. Vielleicht gründen wir daraus sogar eine eigene GmbH. Das ist ein Beispiel für einen wirklich gelungenen Neuerfindungsprozess, wo wir uns selber gefragt haben, was wir können, wo das Know-how ist, was die Leute brauchen und wer unser Publikum ist, wer sich dafür interessieren könnte. Wir haben das Ganze standardisiert und von Anfang an mit modernen Mitteln optimiert.

Ihr habt also viele Dinge ausprobiert, die nicht funktioniert haben?

Wir haben wirklich viel ausprobiert. Rückblickend betrachtet ist es erstaunlich, wie viel wir ausprobiert haben. Ich habe mir vor unserem Gespräch noch einmal Gedanken darüber gemacht, wie viel wir tatsächlich ausprobiert haben. Dabei waren auch einige Dinge, die sich als wenig erfolgversprechend herausgestellt haben, wie beispielsweise einige Taktiken, die nicht funktioniert haben. Wir haben jedoch ein beachtliches Know-how in Bezug auf die Positionierung von Unternehmen und Persönlichkeiten aufgebaut, welches uns hilft, eine einzigartige und originelle Kommunikation zu entwickeln, die von innen herauskommt und nicht aufgesetzt wirkt.

Es ist wichtig, sich von der Konkurrenz zu unterscheiden, um erfolgreich zu sein. Wir dachten uns, dass wir dieses Know-how auch für andere Zwecke nutzen könnten. Wir haben uns gefragt, wer von der Corona-Krise nicht betroffen ist und kamen auf die Idee, dass Bürgermeisterkandidaten möglicherweise von unserer Expertise profitieren könnten, da sie für ihre Wahlkämpfe eine Positionierung und eine effektive Kommunikation benötigen. Insbesondere während des Lockdowns und der damit verbundenen Einschränkungen müssen sie sich online präsentieren. Da die meisten Kandidaten in diesem Bereich kein Know-how besitzen, bieten wir unsere Dienste an, um ihnen eine gute Website, gute Social-Media-Konten und eine erfolgreiche Strategie zu ermöglichen. Wir haben auch tatsächlich einige Bürgermeisterkandidaten als Kunden gewonnen, obwohl es interessanterweise immer die Herausforderer waren, nicht die amtierenden Amtsinhaber.

Wir haben uns zunächst auf kleinere und mittlere Städte konzentriert und waren sehr erfolgreich. Wir haben fast alle Bürgermeister ins Amt gebracht, die wir betreut haben, abgesehen von einer Ausnahme. Wir haben ungefähr zwei Dutzend Wahlkämpfe geleitet, was als Teilerfolg betrachtet werden kann, da wir zwar wissen, wie wir Kandidaten ins Amt bringen können, dies jedoch hauptsächlich für kleinere Gemeinden wirtschaftlich sinnvoll ist. Für uns wäre es viel interessanter, wenn wir unsere Methode skalieren und auf größere Städte anwenden könnten. Das Problem dabei ist jedoch, dass sich Parteien bei größeren Städten immer in den Wahlkampf einmischen, wodurch unsere Methode weniger wirksam wird. Sobald die Ideologie ins Spiel kommt, werden wir zu sehr eingeschränkt und können nicht mehr so effektiv handeln. Daher fokussieren wir uns nicht nur auf die kleineren Gemeinden, sondern suchen nach anderen Wegen, um unser Angebot für größere Städte attraktiver zu machen.

Wir haben zu keinem Zeitpunkt das Gefühl gehabt, dass es dumm war, Geld zu investieren und wir uns nun Sorgen machen müssen, dass es schief geht. Stattdessen haben wir es als etwas Natürliches empfunden, aus unseren Erfahrungen zu lernen und darauf zu reagieren. Wir haben immer wieder neue Ideen ausprobiert und neue Wege gefunden. Wir haben uns niemals unter Druck gesetzt, Erfolg zu haben, nur weil wir eine bestimmte Geldsumme investiert haben. Das wäre eine falsche Herangehensweise gewesen, die uns von Anfang an einschränkt und uns daran hindert, wirklich Neues auszuprobieren. Wenn man nur nach der einfachsten Lösung sucht, kann man nichts wirklich Innovatives entwickeln.

Was ist für euch plötzlich sichtbar geworden?

In den letzten drei Jahren haben wir viel über unser Tun und unsere Vorgehensweise gesprochen und uns überlegt, wie wir bei neuen Ideen vorgehen sollen. Wir haben erkannt, dass wir uns immer wieder auf das zurückbesinnen, was in der Vergangenheit erfolgreich war. Wir haben uns dieses Vorgehen genauer angeschaut und drei Phasen identifiziert, die wir Radix, Edifix und Strategix genannt haben.

In der Radix-Phase geht es darum, zu den Wurzeln zurückzukehren und sich auf den Persönlichkeitskern eines Menschen oder Unternehmens zu besinnen. Wir haben uns auf uns selbst angewendet und überlegt, wofür wir eigentlich angetreten sind und was der Kern unseres Erfolgs ist. Wir haben uns gefragt, wie wir vorgehen und für wen wir unsere Arbeit machen. Wir gehen sehr strukturiert vor, und es hat Elemente der Positionierung, aber wir gehen sehr gründlich und auf die Meta-Ebene.

In der Edifix-Phase geht es um die Entwicklung von Ideen. Hier müssen wir kreativ sein, alles, was uns einfällt, auf den Tisch bringen und uns gegenseitig herausfordern. Wir müssen auch Spaß haben, miteinander trinken und ein bisschen verrückt sein. Hier müssen wir die Stimmung dafür schaffen, um Ideen zu finden, auch wenn sie widersinnig oder abwegig erscheinen. Doch es kann sein, dass wir plötzlich auf eine Idee stoßen, die tatsächlich funktionieren könnte.

In der Strategix-Phase geht es darum, das Ganze zu konkretisieren und von der kreativen Welt in die Welt des Projekt- und Produktmanagements zurückzukehren. Wir möchten, dass das Neue aus uns selbst heraus entsteht und nicht strategisch verzettelt wird. Wenn wir einen neuen Service entwickeln, sollte er etwas mit dem zu tun haben, was wir generell immer tun. Wir wollen Synergieeffekte erzielen und unser Know-how nutzen, um etwas Neues und Besseres zu schaffen.

Wir haben verschiedene Ideen ausprobiert, aber letztendlich haben wir uns immer an diese drei Phasen gehalten. Dann kam uns die Überlegung, dass wenn wir in der Lage sind, diese Methode erfolgreich für uns selbst anzuwenden, wir sie auch anderen anbieten können, die vor ähnlichen Herausforderungen stehen wie wir – nämlich sich neu zu erfinden und neue Dienstleistungen zu entwickeln.

Wir haben beschlossen, dieses Vorgehensmodell nun anderen anzubieten und sind sehr begeistert von der Möglichkeit, neue Perspektiven und Optionen zu erschließen und uns selbst auf diese Weise neu zu erfinden, so wie ihr es auch getan habt. Es ist eine aufregende neue Idee, die wir gerade erst begonnen haben.

Wie kamt ihr auf die Idee für das Thinkcamp?

Wir veranstalten seit vielen Jahren eine große Veranstaltung, die früher am Rande der Buchmesse stattfand. Doch vor vier bis fünf Jahren haben wir uns entschieden, die Veranstaltung im Herbst bei uns am Bodensee durchzuführen. Die Räumlichkeiten sind sehr schön und bieten Platz für 50 bis 100 Personen. Es gibt auch einen Garten und eine Bootsfahrt am Abend. Diese Veranstaltung wurde sowohl von unseren bestehenden Kunden und Geschäftspartnern als auch von neuen Gästen sehr gut angenommen.

Im Zuge unserer Idee, uns als Unternehmen neu zu erfinden, haben wir beschlossen, diese Herbstveranstaltung weiterzuentwickeln und einen günstigeren Termin vor den Sommerferien ausgesucht. Das komplette Programm haben wir umgeschmissen und uns entschieden, Workshops zu den drei Phasen Radix, Edifix und Strategix anzubieten.

Wir behalten auch das bei, was sich bewährt hat, wie zum Beispiel die Schifffahrt in den Sonnenuntergang mit Essen und Gesprächen in kleinen Gruppen. Der Preis für die Veranstaltung beträgt 400 Euro und beinhaltet das gesamte Thinkcamp, auch wenn man nur einen Tag kommen möchte. Es gibt keine Varianten, sondern alles ist inklusive.

Hier findest du mehr über das Thinkcamp